Gestern Abend in Neubiberg durfte ich Altmeister Dieter Hildebrandt in Bestform erleben, anlässlich einer Benefizveranstaltung für Room to Read. Eigentlich sollte er ja nur aus seinem neuesten Buch „Nie wieder achtzig!“ lesen, aber gottseidank hielt er sich nicht an diese Vorgabe, sondern analysierte erst mal anderthalb Stunden lang den Zustand der deutschen Gesellschaft und politischen Landschaft in einer solchen Kaskade von Pointen und Wortspielereien, dass es uns Zuhörern vorkam, als säßen wir wie früher live dabei während der Aufzeichnung eines Scheibenwischers.
Der Mann ist 82 Jahre alt, in Worten: zweiundachtzig! Einfach unglaublich, wenn man ihn sieht und ihm zuhört. Ich habe mich unglaublich geärgert, dass ich mir nicht Stift und Papier mitgenommen hatte, um mir wenigstens ein paar seiner wirklich brillanten Sprachjonglierereien zu notieren. Auch wenn Hildebrandt als Helmut Kohl „Der Mond ist aufgegangen“ von Matthias Claudius spricht, meint man , der Altbundeskanzler stehe live am Mikrophon.
Von Hildebrandt stammt das sarkastische Zitat: „Bildung kommt von Bildschirm und nicht von Buch, sonst hieße es ja Buchung.“ Nun ja, ich kann nur wärmstens empfehlen, den Bildschirm einmal schwarz sein zu lassen, den Tourneeplan dieses großen Kabarettisten zu studieren und sich für einen Termin in der Nähe gleich Karten zu bestellen. So viel Zeitkritik, Politikanalyse und Sprachwitz auf einmal schafft kein einziger Fernsehabend. Schade fand ich, dass so wenig Jüngere anwesend war, aber vermutlich wirkt der Titel seines Buches auf den Nachwuchs (auch das ein Wort, was Hildebrandt unter die Lupe nahm: Es wächst einfach nichts nach, das ist eine Lüge, behauptete er, und schon gar nicht die Weisheit im Alter) eher abschreckend, nach dem Motto: Was soll so ein Gruftie einem schon zu sagen haben?
Dass Bildung natürlich etwas mit Lesen und dem Zugang zu Büchern zu tun hat, weiß Dieter Hildebrandt übrigens ganz genau, sonst hätte er die diese gestrige Benefizveranstaltung in seinen ohnehin vollen Terminkalender nicht eingeschoben. Denn ganz nebenbei können mit den Einnahmen des gestrigen Abends zwei Schulbibliotheken in Kambodscha finanziert werden, das ist nämlich der Impetus der internationalen Organisation Room to Read, die der ehemalige Microsoft-Manager John Wood gegründet hat.