Und hier kommt der mir beim vorweihnachtlichen Textinenwichteln zugeloste Gastbeitrag meiner Kollegin Andrea Groh. Andrea ist freie Lektorin und betreibt erstaunlicherweise nicht nur ein Blog, sondern gleich zwei (Andrea, wie machst du das bloß?): einmal den Zettelkasten, das Blog zur Website, und dann auch noch ein Rezensionsblog, in dem sie Appetit weckt auf allerlei lesenswerte Bücher. Dass sie sich wegen ihres Blogwichtelbeitrags bei mir in die Untiefen deutscher Werbewirklichkeit gewagt und sich eine ganze Woche lang einer Lektüre gewidmet hat, die sie sonst sicher gern verschmäht, hat mich zutiefst gerührt. Allerdings, liebe Andrea, kann ich dir auch guten Gewissens versichern: Mit dieser Sorte von Texten habe ich zum Glück gar nichts zu tun :-). Aber nun darf Andrea sprechen:
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Liebe Elke, für dich und die Blogwichtelei habe ich keine Mühe gescheut und mich in die Niederungen der deutschen Briefkastenwerbung begeben. Ich habe eine Woche lang Werbematerial gesammelt, das bei mir im Briefkasten gelandet ist. Dafür hab ich die Aufkleber „Keine Werbung!“ und „Keine kostenlosen Zeitschriften!“ abgekratzt und mit Fassung getragen, dass die bunten Seiten, größtenteils auf Billigpapier gedruckt, sich wie von selbst vermehrten und einen Stapel ungeahnten Ausmaßes bildeten. Okay, Letzteres ist übertrieben, aber es war noch genug Papier, das kannst du mir glauben …
Ich hab das Ganze auf zwanzig Werbungen beschränkt, darunter: Sportartikelgeschäfte, Möbelläden, Baumärkte, Supermärkte, Kleidungsdiscounter, Optiker, Elektrofachmärkte, 1-Euro-Läden, Lebensmittelmärkte. Schon spannend, was der Briefkasten alles hergibt – wenn ein Männchen darin wohnen würde, hätte es immer genug zu lesen, ohne ein Buch kaufen oder ausleihen zu müssen. Na gut, das Männchen dürfte keine so großen Ansprüche haben, die würde es eben runterschrauben müssen. Aber ich schweife ab.
Die erste Erkenntnis: Keines der zwanzig Werbeblätter zeigt nur die Artikel und die Preise. Jedes wirbt damit, dass (manche) Preise runtergesetzt sind und dass man enorm spart.
Die zweite Erkenntnis: Natürlich wiederholt sich manches, aber die Vielfalt ist doch relativ groß. Geworben wird unter anderem so: „zum Wochenende sparen“, „radikal reduziert“, „ist günstig“, „extrem reduziert“, „jede Menge Preisnachlass“, „billig“, „40 Prozent sparen“, „absoluter Tiefpreis“, „Preis ganz unten“, „Fest für Schnäppchenjäger“, „Superknüller“, „heiße Preise“, „Preishit“, „Top-Preis“, „Sparfest“, „alter Preis, neuer Preis“, „Sonderposten“.
Dritte Erkenntnis: ein Chefsessel, echt Leder, für 40 Euro, Nordmanntanne ab 18 Euro, Schweinekamm ab 2,80 Euro das Kilo, 1,5 Kilo Äpfel für 99 Cent, 2 Kilo Orangen für 1,29 Euro – glaubt jemand, dass er hier „saubere“ und nachhaltig erzeugte Produkte kauft? Der Chefsessel dürfte ordentlich ausdünsten und vielleicht für Husten und Schlimmeres sorgen, die exportierte Nordmanntanne mit einem deftigen Chemiecocktail behandelt sein, das arme Schwein, kann ich nur sagen, ob es vor Antibiotika noch grunzen konnte? Und Äpfel und Orangen sind natürlich auch abgespritzt bis zum Umfallen, willkommen im (spanischen) Obstparadies!
Ich lege den Werbekram beiseite, das wandert alles in den Papiermüll. Und jetzt kommt die vierte Erkenntnis, die eher fragt als sagt: Entweder sind diese Preise normal, und wir, die wir nun an den Euro gewöhnt sind, finden das günstig. Oder diese Preise sind nicht normal und wir sind dumm, weil wir denken, das kann so funktionieren. Oder manches ist günstig und soll die Kunden ködern, die anderen Preise sind normal. Oder …
Andrea Groh / Foto: Joujou, pixelio.de