So ist das im Leben: Da schweige ich monatelang an dieser Stelle und kaum habe ich mal wieder den ersten Blogeintrag geschrieben, in dem ich behaupte, gar keine Zeit mehr zum Schreiben zu haben, passiert etwas, das mich sofort wieder zum Schreiben animiert. Allerdings ist der Anlass ein trauriger. Denn gerade hörte ich im Radio, dass Christa Wolf gestorben ist. Christa Wolf ist eine der großartigsten Schriftstellerinnen Deutschlands. Sie bzw. ihre Bücher haben mich viele Jahre meines Lebens hindurch begleitet, („Nachdenken über Christa T.“ hat mich als Teenager überwältigt beim Lesen), ich habe Wolfs Bücher nicht nur einmal, sondern mehrmals gelesen, mich in meiner Studienzeit in Seminaren damit beschäftigt, eine Seminararbeit über sie geschrieben und kann ganze Passagen daraus auswendig zitieren. Es gibt Sätze, die haben sich in mir eingebrannt haben fürs Leben.
Letztes Jahr war sie in München angekündigt zu einer Lesung aus ihrem letzten Buch, „Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud“. Ich habe es, das muss ich zugeben, leider immer noch nicht gelesen. War es der Titel, der mich abschreckte, waren es die über 400 Seiten? Ich weiß nicht, ich weiß nur, ich wollte sie unbedingt mal live erleben. Die Lesung wurde dann jedoch abgesagt, sie war krank geworden. Und wie ich heute erfuhr, wohl so krank, dass sie letztendlich daran gestorben ist.
Ich trauere um sie und bin ihr doch so unendlich dankbar. Passend zum Kleistjahr habe ich soeben ihr „Kein Ort. Nirgends“, geschrieben 1977, wieder aus dem Regal geholt. Christa Wolf beschreibt darin eine fiktive Begegnung von Heinrich von Kleist und Karoline von Günderrode, die beide freiwillig ihrem Leben ein Ende setzten. Ein Buch, das einen von der ersten Zeile an in Bann hält. Auch wenn man kein Kleist-Kenner ist. Auch wenn man noch nie etwas von der Günderrode gehört hat. Auch wenn man meint: Was können einem zwei deutsche Dichter, die vor mehr als 200 Jahren lebten, heute schon noch sagen?
Immer noch gierig auf den Aschegeschmack der Worte … Zu denken, dass wir von Wesen verstanden würden, die noch nicht geboren sind … Merken wir nicht, wie die Taten derer, die das Handeln an sich reißen, immer unbedenklicher werden? Wie die Poesie der Tatenlosen den Zwecken der Handelnden immer mehr entspricht? … Begreifen, dass wir ein Entwurf sind – vielleicht , um verworfen, vielleicht, um wieder aufgegriffen zu werden, darauf haben wir keinen Einfluss. Das zu belachen, ist menschenwürdig. Gezeichnet zeichnend. Auf ein Werk verwiesen, das offen bleibt, offen wie eine Wunde.
Liebe Christa Wolf, Ihr Werk ist keine offene Wunde, sondern eine offene Schatzkiste. Sie wird mich bis an mein Lebensende begleiten, da bin ich sicher. Und hoffentlich noch viele andere Leser auch. Danke!
Foto: Thomas Max Müller, pixelio.de