Das derzeit beliebteste Wort in sämtlichen deutschen Medien dürfte mit großem Abstand das Wort Krise sein. Hier ein paar ziemlich frische Schlagzeilen:
- Bayern schießt sich aus der Krise. (zeit.de)
- Die IT-Branche trotzt der Krise. (heise.de)
- Die FDP profitiert von der Krise.(tagesschau.de)
- Die Pflegebranche kennt keine Krise. (handelsblatt.com)
und die Bundesregierung überschreibt sogar ihre Webseite zu den Konjunkturpaketen mit: Die Krise meistern.
Nun ist sehr fraglich, ob bei all dem Krisengerede überhaupt noch einer durchblickt, von welcher Krise denn im Einzelnen die Rede ist. Es scheint vielmehr so, als habe sich eine riesengroße Krankheit ausgebreitet, fürchterlich ansteckend, eine Seuche, die uns alle erfasst, eine krisige Seuche, äh, eine riesige Seuche. Alle jammern und wehklagen, verzagen und verzweifeln. Und keiner weist darauf hin, dass das griechische Wort krísis eine entscheidende Wendung bezeichnet und die Krisis in der medizinischen Fachsprache sogar den Höhe- und gleichzeitig Wendepunkt einer Krankheit bedeutet. (Wobei natürlich die Wendung sowohl zur vollständigen Genesung als auch zum endgültigen Exitus führen kann.)
Über zwei weitere Begriffe lohnt es sich, finde ich zumindest, in diesem Zusammenhang nachzudenken: Bankrott und Pleitegeier. Das Buch des Zürcher Journalisten und Kommunikationsberaters René Zeyer „Bank, Banker, Bankrott„ legt den Verdacht nah, bei „Bankrott“ handele es sich um einen Superlativ, die höchste Steigerungsform, zu der eine Bank fähig ist. Obwohl sich dieser Verdacht in den letzten Wochen irgendwie bestätigt hat, muss ich der Ordnung halber darauf hinweisen, dass Bankrott wörtlich übersetzt aus dem Italienischen eigentlich zerbrochener Tisch heißt. Ob im 15. Jahrhundert (aus dieser Zeit stammt das Wort) einem zahlungsunfähigen Geldwechsler oder -verleiher in Venedig oder Florenz der Tisch (banca) mal tatsächlich zerschlagen (rotta) wurde, ist allerdings nirgends bezeugt. Vermutlich den ersten Bankrott der Geschichte dürfte niemand Geringerer als Jesus von Nazareth gemacht haben, glaubt man den Evangelien, die berichten, wie er voller Zorn die Tische der Geldwechsler im Tempel von Jerusalem umstieß.
Dass nach so vielen Bankrotterklärungen anschließend der Pleitegeier über allem schwebt, ist ein schönes, aber leider auch falsches Bild. Denn der Pleitegeier ist mitnichten ein gieriger, lauernder Aasvogel, der sich über die Überreste der zerbrochenen Tische hermacht. Vielmehr stammt das Wort „Pleite“ aus der Gaunersprache und geht auf ein hebräisches Wort für Flucht oder jiddisch Entrinnen zurück. Die Bedeutungsverschiebung zu „Bankrott“ liegt nahe: Der zahlungsunfähige Schuldner kann sich nur durch Flucht=Pleite vor seinen Gläubigern retten. Der Pleitegeher aber wurde im Jiddischen wie Pleitegejer ausgesprochen und von da war es nicht mehr weit zum Pleitegeier.
Man sieht also: Geht man den Wörtern auf den Grund, ist alles gar nicht mehr so schlimm, wie es ausgesprochen klingt. Im Gegenteil: Es eröffnen sich neue Horizonte. Und das nicht nur in sprachlicher Hinsicht. In diesem Sinne:
Her mit der Krise. Erklären wir ihr den Bankrott. Und schlagen sie endgültig in die Pleite.
(Fotos: Krise von Klaus-Uwe Gerhardt, Geier von Holger Bär, pixelio.de)